Galerie zur Schützenlaube, Schützenhausgasse / Ecke Obere Stampfengasse, 3930 Visp


Silke Panknin

Mich interessiert die Frage, wie und warum bestimmte Landschaftsräume zustande kommen, wie sie tradiert sind und wie sie, bedingt durch unsere Vorstellungen von Landschaft, dem Wandel unterworfen sind. Unser Landschaftsempfinden ist immer auch an den Begriff der Schönheit geknüpft: »Welche Landschaft empfinden wir als schön?« Viele Jahre galten die Alpen als furchtbar, erschreckend, unkultiviert. Im 18. Jahrhundert änderte sich dies und man begann die ursprünglich wilde Landschaft aufgrund ihrer Erhabenheit zu schätzen. Bis heute verbindet man mit den Alpen das Gefühl des Romantischen und Erhabenen, aber auch des Bedrohlichen.

Das Lötschental, das größte nördliche Seitental der Rhone im Jungfrau-Aletsch-Gebiet, erscheint auf der Landkarte wir ein spießförmiges Blatt, hineingelegt in das Herz der Berner Alpen. Bedingt durch seine Geschichte konnte das Tal länger als andere touristische Regionen des Wallis seine Traditionen, Bräuche und Sprache bewahren. Das Lötschental wurde immer wieder von Künstlern besucht, die sich von der Ursprünglichkeit und Einfachheit des Lebens, sowie der hochalpinen Bergwelt angezogen fühlten. So die Geschwister Anneler, die ein detailliertes ethnologisches Dokument dieses Tals erstellt haben und Albert Nyfeler, Maler, der neben seinem malerischen Werk ein reichhaltiges fotografisches Werk hinterlassen hat, dass heute als ein über lange Zeit angelegtes Dokument der dort lebenden Bergbevölkerung zu interpretieren ist. Nyfeler selber hat ab den Zwanzigerjahren bis zu seinem Tod 1969 dort gelebt. 

Auszug aus: Lötschen von Hedwig und Karl Anneler, 1917:

»So lebten wir denn von da an abgeschieden von der Welt der Städte: ringsum die wilde Schönheit des Tales und seinen himmelanstrebenden Bergen, seinen höhenfrohen Alpen, seinen wunderreichen Wäldern, den jauchzenden Bächen und donnernden Lawinen, den schroffen Felsabstürzen, dem feierlichen Weiß des Schnees und der flüchtigen Pracht der Blütenmatten; wir waren hineingebannt in eines der traulichen Bauernhäuser im eigenartigsten der eigenartigen Dörfer, die sich arbeitsdurchpulst und heimlicher Geschichten voll um die Gotteshäuser scharen, worin, weihrauchdurchduftet, uralte Gesänge und uralte Geheimnisse weben. Starkes und buntes Mittelalter hatte uns umfangen.«

Die Grundlage meiner Arbeit werden die Fotografien von Nyfeler sein. Anhand der Fotografien und unter Einbeziehung von Zeitzeugen entwickele ich eine eigene Arbeit, die eine Möglichkeit darstellt, sich aus heutiger Sicht fotografisch dem Tal zu nähern.

Silke Panknin

Silke Panknin – Graustufen
17. April - 9. Mai 2021

Wohl kaum ein anderes Gestein aus der Region als der Schiefer bietet so eine breite Palette von grauen Farbtönen an. Wir sind an ihn gewöhnt (die Schieferdächer alter Walliser Häuser, die Schiefertafeln für Schulanfänger etc). Und wie es mit den Dingen, die man tagtäglich sieht, oft passiert, wir nehmen sie kaum wahr. Aber wie die Installation „Graustufen“ von Silke Pankin zeigt, dieses Gestein hat noch einiges zu erzählen und es gibt uns reichlich Stoff nachzudenken.

Die Konzeptkünstlerin Silke Pankin lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und an der ENSAV La Cambre, eine renommierte Hochschule für visuelle Kunst in Brüssel. Die zur Bildhauerin ausgebildete Künstlerin befasst sich neben raumfüllenden Installationen mit der analogen Fotografie. Die Fotografie ist in den letzten Jahren zunehmend zu ihrem künstlerischen Medium geworden, mit welchem sie ihre Ideen und Gedanken in Bildern auszudrücken vermag.


«In meinen Arbeiten versuche ich ein Gefu?hl fu?r Raum und Zeit zu erfassen und das Wesen des Ortes greifbar zu machen.» So beschreibt die Berliner Künstlerin die Haltung, mit der sie sich mit ihrer Umgebung vertraut macht und ihre Kunstwerke entstehen. Sie ist fasziniert von einer extremen Natur, sei es das Meer mit seinen Inseln wie die zwischen Schweden und Finnland liegenden ?land-Inseln oder die Monumentalität des Gebirges in den Alpen oder Norwegen.

Bereits 2019 verbrachte Silke Panknin einen Arbeitsaufenthalt im Briger Gastatelier. Damals befasste sie sich intensiv mit dem Werk des Lötschentaler Künstlers Albert Nyfeler. Licht und Kontraste dominierten in ihren dort entstandenen Schwarz-weiss Fotografien. Der anschliessende Aufenthalt am Hardanger-Fjord in Norwegen öffnete ihr die Augen für die Parallelen dieser Gebirgslandschaft mit den der Alpen, sodass sie diese Erkenntnisse vertiefen wollte und sich erneut um einen Aufenthalt in Brig bewarb.

Nun also wieder die Bergwelt des Wallis.

Ihr ursprünglich geplantes Projekt, ein fotografischer Vergleich zwischen norwegischen und Walliser Bergen, musste sie aufgrund der Reisebeschränkungen zu Corona-Zeiten anpassen, indem sie ihren Bewegungs-Radius auf die nähere Umgebung beschränkte. Doch auch hier konnte sie die Gewalt und Monumentalität der Berge hautnah erfahren. Vor allem die Saltina-Schlucht diente ihr als künstlerische Inspirationsquelle. Wie in der von ihr praktizierten Schwarz-weiss-Fotografie entdeckte Silke Panknin in den dunklen Wintermonaten die verschiedenen Grauabstufungen der Gesteine, der Klüfte und Felsmassen, allen voran des Schiefers.

Als Städterin glaubte sie lange an die Unverrückbarkeit und Erhabenheit der Berge. Doch im direkten Kontakt erkannte sie deren Verletzbarkeit. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Festigkeit und Kraft der gewaltigen Felsformationen sind nicht so statisch, wie zunächst angenommen, sondern entstehen und verändern sich über Jahrmillionen. Felsen werden gestaucht, gefaltet, aufgetürmt oder brechen und stürzen in sich zusammen. Die Tektonik und die Erosion wird in den Schichtungen des Granits und der Schieferwände deutlich sichtbar. Diese Fragilität macht Silke Panknin durch ihre Kunst sichtbar. Sie arbeitet mit dem Material aus der Umgebung: Schieferplatten, Wasser aus Termen, Veloschläuchen. Sie zeichnet, fotografiert und überträgt ihre Fotos in Cyanotypien, ein Edeldruckverfahren, welches fotografische Vorlagen in cyanblaue Bilder umsetzt.

Die 156 Cyanotypien sind eine Bestandsaufnahme. «How to read a mountain» geht ins Detail und erfasst, wie mit einem Scanner Stück für Stück eine Felswand in der Saltina Schlucht. »Blau« als Farbe der Bildserie steht symbolisch für den immer noch vorherrschenden romantisierenden Blick auf die Alpen und ihre Bergwelt. Die blaue Farbe assoziiert die Künstlerin ebenso mit Weite und Unendlichkeit, den Gletschern und dem Element Wasser.

Silke Panknin sieht die Schönheit und Monumentalität der hiesigen Natur und gleichzeitig wird sie sich ihrer Verletzlichkeit bewusst. Wir Menschen verdrängen dies nur allzu oft und vergessen gern, dass wir selber ein winziger Teil der Natur sind. Häufig überwiegen bei der Nutzung natürlicher Ressourcen wirtschaftliche Interessen und der Raubbau sowie die fehlende Weitsicht tragen bei zu irreparablen Folgeschäden, die sich z. B. im Klimawandel unübersehbar zeigen.

Sobald man den grossen Saal in der Galerie zur Matze betritt, steht man vor einem Teppich aus Schieferplatten und künstlichen Felsbrocken oder Kieseln. Nicht fest und unerschütterlich, sondern leicht über dem Boden schwebend nehmen sie in einem unregelmässigen Muster die Hälfte des Saales ein. Auf der gegenüberliegenden Seite dominiert ein grosser Steinkreis und erinnert an den gestaltenden Eingriff des Menschen, der sich die Natur nutzbar macht, als Baumaterial, als Lebens- und Freizeitort. Seine zivilisatorischen Eingriffe formen die Natur, benutzen sie. Nie zuvor begegnete Silke Panknin ähnlich vielen und mit ähnlich breiten Reifen versehenen Montainbikes wie hier. Die Bergwelt wird zum Freizeitpark ungeachtet ihrer Verletzlichkeit.

Fasziniert vom Werden und Vergehen vor ihren Augen greift sie zur Symbolik der Kreisform als Zeichen für die Unendlichkeit, als ewiger Kreislauf. Unübersehbar sind die Spuren der Klimaerwärmung, die Gletscher schmelzen, der Permafrost lässt das Gestein locker werden, es tropft – auch in der Galerie ist das leise stetige Tropfen zu hören und zu sehen – Felsstürze und Verwerfungen sind die Folge. Das Wasser tropft gleichmässig - wie ein Zeitmesser - in die grossen schwarzen Mörteleimer, die von der gewölbten Decke hängen, und gibt der Installation ihren klanglichen Grundton. Es steht für das Verrinnen der Zeit, nach ca. 2 Tagen ist eine Flasche geleert, versiegt der Fluss des Wassers. Ist es nicht vergleichbar mit dem Schmelzen und Versickern des Gletscherwassers?

Beeindruckt von den Schattierungen des Schiefers entstanden die grossen Graphitzeichungen, die als Porträts von Schieferplatten, deren bizarre Formen, ihren Glanz und die Tiefe ihres Grautons betonen. Die aus dem Zusammenhang gelösten Formen lassen die Zeichnungen selber wieder zum Porträt eines Berges werden.

In verschiedenen Schritten: Mittels Zeichnung, detaillierter und verfremdeter Fotografie, der künstlichen Wirklichkeit ihrer Installation und der Übertragung in akustische Erfahrung schafft Silke Panknin ein Raumerlebnis mit sich ergänzenden Interpretationsansätzen.

Sie versucht unser Augenmerk auf die uns umgebende Schönheit, auf die schützenswerte Natur, die es zu bewahren gilt, ihre Gefährdung und unsere eigene Verantwortung zu lenken. Wie viel Zeit bleibt uns, um das alles zu bewahren?